Gezapft und verleimt
Möbel aus dem Nachlass von Otl Aicher
Fotografie: Tilo Grätz, Bad-Wurzach
Warum aus Otto Otl wurde, können wir nicht wissen. Doch dass Otto Aicher das Otl bevorzugte, daran zweifeln wir nicht. In diesem Wort Otl steckt eine Neugierde, eine Lebendigkeit und Freude im und am Leben.
Mit diesem Gedanken nähern wir uns dieser besonderen Vita. Auch wenn man nur ein Stückchen daraus erzählt, weiß man, es gehört sowohl zur deutschen Geschichte wie auch zur internationalen Designgeschichte.
Das Lexikon der Contemporary Designers nennt im Vorwort folgende Kriterien seiner Auswahl: „The designers included in this volume have shaped the look of the everday world in the late twentieth century“. 1
Zu Otl Aicher gibt es folgende Information:
German graphic designer. Born Otto Aicher in Ulm, 13 May 1922. Studied at the Akademie der Bildenden Künste, Munich, 1946-47. Served in German Army. Married Inge Scholl, 1952; children: Eva, Florian, Julian, and Manuel. Freelance graphic designer: established studio, Ulm, West Germany, 1948. Co-founder and developer, 1949-54, Lecturer, 1954-65, member of the Rektoratskollegium, 1956-59, and Vice Chancellor, 1962-64, Hochschule für Gestaltung, Ulm. Visting Lecturer, Yale University, New Haven, Connecticut, 1958. West German delegate, World Design Congress, Tokyo, 1960. Recipient: Prix d`Honneur, Triennale, Milan, 1954, Best German poster price, 1955; first price European Typography Competition, Innsbruck, Austria, 1958.
Exibitions: Yale University, New Haven, Conneticut, 1959; Entschlüsselte Landschaften, Pädagogische Hochschule Weingarten, 1976. Collections: Museum of Modern Art, New York; Museu de Arte Moderna, Rio de Janeiro. Adress: Rotis 12, 7970 Leutkirch 1, West Germany.2
Unerwähnt bleiben hier zum Beispiel seine Zusammenarbeit mit Max Bill, Hans Gugelot, Dieter Rams, die visuelle Gestaltung der Olympischen Spiele 1972 in München, seine Beiträge zum Corporate Design zahlreicher Unternehmen. Wer seine Beiträge für FSB oder sein Buch Die Küche zum Kochen – Das Ende einer Architekturdoktrin kennt, weiß wie differenziert sich Otl Aicher mit einer Aufgabe auseinandersetzte und wie wichtig ihm dabei der menschliche Faktor war. Das Buch zur Küche entstand Anfang 1982 nach einer Untersuchung für die Firma Bulthaup und beeinflusste auch deren weiteren Entwürfe. Noch heute verwendet der Küchenhersteller Otl Aichers erfolgreiche Schriftfamilie Rotis in seinem Firmenlogo.
Doch zurück zur Hochschule für Gestaltung (HfG) Ulm. Idee und Motivation waren eindeutig gesellschaftlich begründet, so „ging es nicht in erster Linie darum, schöne Plakate und Lampen zu gestalten.
Sie (Inge Scholl, Max Bill, 0tto Aicher) wollten vielmehr die Gesellschaft gestalten. Genauer gesagt: Sie wollten dazu beitragen, dass nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland eine friedliche, demokratische und freie Gesellschaft enstehen konnte.3
Dazu war es nach Ansicht der Gründer unbedingt notwendig unabhängig von staatlichen Organisationen zu sein. Dass dieser Ansatz letztendlich auch mit zur Schließung der Hochschule führte, ist besonders spannend bei Dr. Rene Spitz online nachzulesen.
Der Vortrag - Professor Dr.Rene´ Spitz (Köln) am 8.Mai 2016 in der "Rotisserie" Leutkirch-Rotismühle - findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=CllG7xbezbo&feature=youtu.be
Gezapft und verleimt ist der berühmte Ulmer Hocker. Als Alltagsutensil für die Bedürfnisse einer Hochschule gedacht, ist er noch heute im Programm verschiedener Möbelhersteller wie wohnbedarf, manufactum und Zanotta. Denn „im Nutzen ist der Hocker noch heute dem Stuhl überlegen. Er übernimmt im Alltag (...) die gewünschte Flexibilität. Er kann neben Sitzgelegenheit auch Ablage, Leiter, Nachttisch, Ottoman, Transportmittel sein.“4
Doch „wer hat's erfunden? Zur Frage, wer das schlichte Möbel denn tatsächlich entwickelt habe, kam es immer wieder zu Streit. Namen wie Paul Hildinger, Hans Gugelot, Max Bill und Otl Aicher tauchten dabei auf. Das Archiv der "Hochschule für Gestaltung" (HfG) Ulm nannte das hölzerne Gebilde schließlich "Ulmer Hocker". War es doch 1954 an der HfG entstanden.“5
Heute wissen wir, bereits vor 1940 fertigte Otl Aicher als Schüler einen Holzhocker aus zwei senkrechten und einem waagerechten Brett. Leider gibt es dieses Möbel heute nicht mehr, doch die Schwester Hedwig Maeser erinnert sich noch gut daran, wie Otl Aicher in der Garage seines Vater daran arbeitete.
Gezapft und verleimt in Form von Bänken und Tischen war später auch ein Teil des Mobiliars der Familie Aicher. Eine Fotografie mit Inge Aicher-Scholl im Vordergrund vom März 1986 zeigt dies. „Lange Zeit lehnte Otl Aicher ein Sofa als „bürgerlich“ ab. Schließlich überraschte er seine Frau mit einer Couch, zwei Sesseln und einem Tisch (...). Die schweren Holzteile sind verzapft, ähnlich dem Ulmer Hocker. Der Polsterbezug besteht aus grobem, beigen Leinen.“ 6
Inge Aicher-Scholl gründete 1946 die Ulmer Volkshochschule. „Parallel dazu entsteht die Vision einer Hochschule, in der Geistes- und Naturwissenschaften politische Wirkung gewinnen können. Otl Aicher ist aktiver Teil dieser Prozesse. Er entwickelt das Plakat-Programm der vhs und entwirft das Konzept einer Hochschule für Gestaltung (einschließlich der ersten Raumordnung und Bauplanung) in Ulm. Es entstehen Erscheinungsbilder für Braun und Lufthansa, Plakate und Broschüren, Verpackungen und Ausstellungen, Layoutkonzepte für Kultureinrichtungen und Industrieunternehmen.
Sein Begriff der "visuellen Kommunikation" begründet eine neue Qualität der sichtbaren Kultur als Ganzheit. Otl Aicher wird zum Pionier einer visuellen Sprache, deren Ziel die Lesbarkeit der Welt ist.“ 7
Linie und Zeichen
Plakate von Otl Aicher
Zu diesem wichtigen Aspekt freuen wir uns die Plakate aus dem Nachlass Otl Aichers um das Angebot der Kölner Galerie für Moderne Kunst und Plakatkunst erweitern zu können. Aichers grafische Arbeiten sind in zahlreichen Museen vertreten, sie gehören zu den Arbeiten, die nach 1945 dazu führten, dass „das deutsche Plakat im internationalen Konzert eine Stimme erlangt. Sicher haben die von Aicher entwickelten visuellen Erscheinungsbilder für Lufthansa bzw. Olympischen Spiele 1972 dazu beigetragen.“8
Otl Aichers Arbeiten sind auch im Konzept der Galerie für Moderne Kunst und Plakatkunst eine Ausnahmeerscheinung, denn „das Künstlerplakat wurde von einem zumeist bildenden Künstler in werbender Absicht entworfen und beansprucht künstlerischen Charakter. Diese Plakate – in den allermeisten Fällen künden sie die Ausstellung der jeweiligen Künstler an – markieren eine Nahtstelle, in der sich freie und angewandte Kunst überschneiden. In diesen Fällen ist es zutreffend, von einem Originalentwurf des Künstlers für sein Plakat zu sprechen.“9
Original ja – doch selbstverweisend nein – denn Otl Aichers Plakate verweisen auf Ereignisse und Unternehmen und deren Vertrauen in Aichers Ideen und Fähigkeiten. Und diese überzeugen bis heute – 25 Jahre nach seinem Tod.
1 Ann Lee Morgan, Contemporary Designers, Michigan 1984
2 ebd, S. 14
3 http://renespitz.de/index.php?id=54, Stand 09.08.2016
4 50 Hocker, Martin Bohn Hrsg., Köln 2014
5 http://www.rotismuehle-aktuell.de/de/otl-aicher-moeb.html Stand 09.08.2016
6 Die sanfte Gewalt Erinnerungen an Inge Aicher-Scholl, Christine Abele-Aicher Hrsg., Ulm 2012, S. 78
7 http://www.otlaicher.de/, Prof. Peter von Kornatzki zur Ausstellung "Otl Aicher Plakate" Stand 09.08.2016
8 Industrial Design Unikate Serienerzeugnisse, Hans Wichmann, Die neue Sammlung, München 1985, S.319
9 http://www.artistsposters.com/ Stand 09.08.2016